Wie Yanthalbor geboren wurde – und beinahe nie das Licht der Welt erblickt hätte

Manchmal brauchen Geschichten Jahrzehnte, um gehört zu werden. Yanthalbor ist eine solche Geschichte. Nicht nur im Buch selbst, sondern auch in seiner Entstehung. Sie handelt von zwei jungen Männern, einer Welt namens RIKAS, einer frühen Freundschaft – und einem Roman, der 25 Jahre lang schlief.

Die ersten Spuren führen zurück in die 1980er Jahre, in einen kleinen Vorort von Darmstadt. Dort trafen sich regelmäßig zwei junge Autoren. Der eine: Ich. Musiker, Jungredakteur bei einer Filmzeitschrift, mit einem Hang zu allem, was erzählt und klingt. Der andere: Christian, Kernphysiker, Nerd, Computerpionier, Universalgelehrter. Unterschiedlicher hätten wir nicht sein können. Was uns verband, war der Traum vom Schreiben.

Am Rechner, einem jener klapprigen Monitore mit grünlich flackernder Schrift, entstand unser erstes Werk: eine Sci-Fi-Fantasy-Novelle namens Styx – der Proktor, später umgetauft in Rebellion 23. Darin tauchten sie das erste Mal auf: das wüstenhafte Reich Zorbejt, die Stadt Montalbaan, eine Welt zwischen Steampunk und archaischem Wahn. Damals wussten wir noch nicht, dass es dafür mal ein Genre geben würde.

Wenig später, nun Mitglieder der Frankfurter Autorengruppe, der so illustre und später erfolgreiche Mitglieder wie Sylvia Englert und Peter Peters angehörten, beschlossen wir: Wir graben tiefer. Wir erzählen die Frühgeschichte dieser Welt. Daraus wurde Queste. Zwei Helden, zwei Perspektiven. Meine Figur: Jan Talborg, ein Mann unserer Zeit, durch einen Riss in eine antike Welt gestolpert. Christians Figur: Hannon, ein Aristokrat aus Montalbaan. Kapitelweise wechselten wir uns ab. Ich schrieb die ungeraden, er die geraden Kapitel. Und wir versanken in einem literarischen Katz-und-Maus-Spiel.

Jan war überheblich. Hannon war arrogant. Jan fand die Eingeborenen dumm. Hannon fand alle unter seinem Stand. Wir überboten uns gegenseitig im pointierten Sarkasmus. Ich ließ Hannon peinliche Dinge tun. Christian konterte, indem er Jan als „spinnerten Deppen“ darstellte. Kapitel für Kapitel wuchs der Text – und driftete auseinander. 600 Seiten, gespickt mit brillanten Ideen, aber ein heilloses Stilgemetzel.

Schließlich beschlossen wir, getrennte Wege zu gehen. Ich würde Yanthalbors Weg erzählen, Christian den von Hannon. Die Trennung war fair, aber auch schmerzhaft. Es folgte mein Umzug nach Konstanz, wegen der Liebe. Was folgte, war alles andere als romantisch: prekäre Jobs als Filmkritiker, Radiomoderator, Kulturjournalist. Und, ja – als Model für die Stadtwerke. Ein Plakat mit meinem Konterfei hing bald in der ganzen Stadt. Ironie des Schicksals: Ich grinste von jeder Litfaßsäule herab auf meine damalige Ex, die mich wegen eines Junkies verlassen hatte.

In dieser Zeit schrieb ich viel, vor allem Kurzgeschichten. Eine davon wurde in der Literaturzeitschrift Wandler veröffentlicht. Das tat gut. Und dann, eines Tages, las ich mich wieder in Yanthalbor ein. Er hatte keinen Schluss. Und Christians Hannon-Geschichte wollte sich auch nicht mehr einfinden. Wir hatten uns gegenseitig blockiert. Und so blieb die Geschichte in der Schublade.

Es kam noch schlimmer. Wir gründeten eine Gameschmiede. Unser Fantasy-Adventure Queste sollte ausgerechnet Hannons Geschichte adaptieren. Ich half beim Game Design mit. Das war quasi das Todesurteil für Yanthalbor. Wie sollte es noch Platz geben für einen Roman, dessen zweite Hälfte bereits als Spiel geplant war?

Queste wurde nie fertig. Die Technik überholte uns. Die Firma wurde aufgelöst. Jahre gingen ins Land. Ich schrieb Shabu, meinen ersten Kriminalroman, der veröffentlicht wurde. Christian und ich schrieben den Krimi Downtown zusammen, das beim Emons Verlag erschien. Aber Yanthalbor blieb liegen.

Bis zu dem Tag in einem kleinen Städtchen an der Brenz, als ich beim Aufräumen alter Dateien war. Ich las den Text. Und wusste: Ich bin frei. Queste war tot. Christian hatte andere Pläne. Ich konnte mein Buch beenden. Und ich tat es. Aus drei Monaten Arbeit wurde ein Jahr. Aber am Ende stand er da: Yanthalbor, komplett, geerdet, kraftvoll.

Heute lebt er. Im Trivocum Verlag, in Leserhänden, in dieser seltsamen Welt namens RIKAS, die vielleicht mehr mit unserer zu tun hat, als man zunächst denkt. Und auch, wenn Jan Talborg nicht weiß, woher er kommt, so weiß ich es sehr wohl. Seine Geschichte war nie nur fiktiv. Sie war mein Weg, mein Streit, mein Freund, meine Suche. Und jetzt ist sie mein Vermächtnis.

Reinhard Rael Wissdorf

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