Buchrezension von Rael Wissdorf
Wenn eine Bestsellerautorin wie Katja Brandis aka Sylvia Englert aka Siri Lindberg einen neuen Fantasyroman vorlegt, liegen die Erwartungen hoch. Eine treue Leserschaft scharrt mit den Hufen, und ein mächtiger Plot nimmt Fahrt auf. Und dann – wie soll es auch anders sein – gelingt es Brandis erneut, dem Genre neues Leben einzuhauchen, mit Traditionen zu brechen und neue zu schaffen. So ist ihr neues Epos im Präsens gehalten – das verleiht der breit angelegten Geschichte Tempo und Unmittelbarkeit. Doch bevor wir ins Detail gehen: Worum geht es eigentlich?
Die größte Stärke des Romans ist die fabelhafte und ungewöhnliche Grundidee: Versteinerte Wesen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen als lebensechte Statuen aus weißem Marmor über die Insel Calliste verstreut. Alle 17 Jahre erwachen sie für kurze Zeit zum Leben und werden zur Touristenattraktion der kleinen Insel, die seit Jahrhunderten von den „Ewigen“ lebt. Die Heldin Ila wurde an einem solchen Tag geboren und fühlt sich den Wesen, insbesondere einem Vogelmenschen, der sie beschützte, besonders verbunden.
Doch nicht alle der Ewigen sind freundlich – manche sind gefährlich, andere gar bösartig. Doch alle verbindet ein tragisches Schicksal. Was ist damals, vor 300 Jahren, geschehen, dass diese illustre Gesellschaft – von der Meeresechse über einen römischen Riesen bis zu einer bezaubernden und cleveren Meerjungfrau – zu Stein wurde? Und warum dürfen sie seither nur alle 17 Jahre kurz ins Leben zurückkehren?
Diese Fragen sind der Auftakt zu einem Netz aus Geheimnissen: Was trieb Ilas Mutter damals hochschwanger durch das Dickicht der Insel? Warum ist der junge Held Rheo ein so begnadeter Schwimmer? Wer steckt hinter dem Fluch, der auf Ilas Familie lastet? Schritt für Schritt spinnt Brandis ihre Handlungsnetze aus, findet aber mit traumwandlerischer Sicherheit ihren Weg durch die verwobenen Nebenplots – stets durchdacht, mit überraschenden Wendungen.
Eine weitere Stärke des Romans ist die Sprache. Souverän verbindet Brandis poetische Beschreibungen mit jugendlicher Leichtigkeit. Gelegentlich blitzen Elemente der Jugendsprache auf, jedoch nie in einem Maß, das anbiedernd wirkt. Das macht die Geschichte leicht und flüssig lesbar, ohne an Tiefe zu verlieren. Die Insel selbst ist weiterer Hauptdarsteller. Mit viel Liebe zum Detail beschreibt Brandis ihr magisches Eiland, so dass man dort am liebsten sofort Urlaub machen möchte.
Die wechselnden Perspektiven – von Ila zu Rheo und weiteren Figuren – sorgen für Abwechslung und ein umfassendes Bild des Geschehens. Diese Technik hilft, den umfangreichen Stoff dynamisch und kurzweilig zu präsentieren.
Nicht zuletzt beeindruckt das phänomenale Worldbuilding. Jeder Fantasyroman aus deutscher Feder muss sich an Größen wie Tolkien, Marion Zimmer Bradley oder Andrzej Sapkowski messen lassen. Doch Brandis gelingt es, sich diesen Vergleichen souverän zu stellen. Mit einem Mix aus Urban Fantasy, einem Hauch Steam- oder Dieselpunk sowie einer bemerkenswerten und eigenständigen Magieform erschafft sie eine Welt, die vertraut wirkt und doch voller neuer Ideen steckt. Wie sich diese Welt mit ihren anderen Romanen – etwa Khyona – verbindet, erläutert Brandis übrigens selbst im Anhang.
Fazit: *Die Ewigen von Calliste* ist ein neues deutschsprachiges Fantasywunder, das Jugendliche ebenso wie erwachsene Genrefans begeistert. Eine spannende und bewegende Geschichte mit sympathischen Figuren, die Brandis gewohnt souverän und mit einem hohen Maß an literarischer Qualität erzählt. Fantasy als oft unterschätztes Genre in Deutschland braucht solche Autorinnen.
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