Plot oder nicht Plot?

Plot oder nicht Plot? Zwischen Struktur und Chaos im Erzählen

Eine der ältesten Fragen des kreativen Schreibens lautet: Brauche ich einen Plot? Oder reicht eine starke Figur, eine Stimme, ein Thema? Wer sich durch Schreibforen klickt oder mit Autor:innen diskutiert, merkt schnell: Die Meinungen klaffen auseinander.

Auf der einen Seite stehen die Verfechter:innen der klassischen Dramaturgie, allen voran der Heldenreise nach Joseph Campbell oder Christopher Voglers Modell: Klar definierte Stationen, Wendepunkte, Klimax und Rückkehr. Auf der anderen Seite: intuitive Erzähler:innen, die sich treiben lassen, in Szenen leben, Figuren beobachten und der Handlung keine Zügel anlegen wollen.

Ein persönlicher Weg zwischen den Welten

Als ich die erste Zeile Prosatext schrieb, war ich elf Jahre alt und baute eine kleine Theaterszene einfach nur aus dummen Sprüchen zusammen. Es hieß „Kacsamalca Pedro oder Kekse Kekse Kekse“. Meine Schulkameraden fanden die Kombination aus Krümelmonster und Banditenchef köstlich. An Plot war da allerdings nicht viel zu erkennen, denn das Ganze endete einfach in einer mäßig choreografierten Prügelei á la Bud Spencer und Terence Hill.

Später kopierte ich wie wild die Satiren von Ephraim Kishon, weil ich ihn kurzfristig zum Gott erhoben hatte, doch bald schon hatte mich die Fantasy im Griff. Mein Fundament bestand ohnehin aus einer soliden Mischung aus Karl May und Jack London. Meinen ersten echten Romanentwurf schrieb ich dann mit siebzehn. Ich verbrachte unglaublich viel Zeit damit, Namen zu erfinden, Kontinente und Inseln zu kreieren und alle möglichen Figuren in diese Welt hineinzuwerfen – unter anderem eine sprechende Katze. Schon nach etwa 80 Seiten blieb ich stecken, denn ich hatte einfach keinen Plan, wie die als Reiserzählung angefangene Story weitergehen sollte. Interessanterweise plünderte ich aber diese 80 Seiten später gründlich für meinen Roman Yanthalbor. So ganz sinnlos war das Ganze also nicht.

Erst mit meinem ersten Krimi entdeckte ich das Plotten. Schreiben ist also ein Prozess aus innerem Worldbuilding, dem Erfinden von Charakteren und den Erlebnissen dieser Figuren in der selbst geschaffenen Welt. Wobei sich dieser Vorgang nicht auf Fantasywelten beschränkt. Letztlich ist jede Welt, sei es das reale London oder eine völlig erfundene, das Ergebnis von Worldbuilding. Das Schreiben kann also auch als innere Reise betrachtet werden, in der man manchmal nicht weiß, was oder wer einem begegnet.

Das Beste aus beiden Welten?

Tatsächlich zeigt die Literaturgeschichte, dass zwischen diesen beiden Polen ein weites Feld liegt: Werke, die strukturelle Klarheit mit erzählerischer Freiheit kombinieren. Hier eine Auswahl bemerkenswerter Beispiele:

– Der Herr der Ringe (J.R.R. Tolkien): Frodos Reise folgt der Heldenreise, doch das Worldbuilding und die zahlreichen Nebenpfade (z. B. Tom Bombadil) durchbrechen den Plotfluss und erweitern das Epos ins Mythische.

– Die Unendliche Geschichte (Michael Ende): Erst klassische Struktur, dann bewusste Auflösung. Bastians Reise verflüssigt sich, wird zur Selbstsuche jenseits linearer Dramaturgie.

– Der Report der Magd (Margaret Atwood): Kaum klassische Handlung, dafür eine dichte Innenwelt. Die Bedrohung entsteht aus Andeutungen, Erinnerungen und psychologischer Spannung.

– Middlesex (Jeffrey Eugenides): Episodenhafte Biografie mit losem roten Faden. Kein Ziel im klassischen Sinn, aber eine Entwicklung, die emotional nachdrücklich ist.

– Pulp Fiction (Quentin Tarantino): Filmisch, aber lehrreich: Die Chronologie ist fragmentiert, doch jede Episode folgt ihrer eigenen Mini-Dramaturgie. Das Gesamtbild ist überraschend kohärent.

– Der Steppenwolf (Hermann Hesse): Innere Reise ohne äußeren Plot. Ein Labyrinth des Selbst, dennoch mit Spannungsbögen und Transformation.

Und was bedeutet das für dein Schreiben?

Du musst dich nicht entscheiden. Auch wenn ein Plotgerüst Sicherheit gibt, darfst du es loslassen, sobald es dich fesselt. Ebenso darf ein chaotischer Entwurf später strukturiert werden. Viele große Erzählwerke wurden erst im Nachhinein dramaturgisch gestrafft.

Schreibe wild. Denke strukturiert. Oder auch umgekehrt. Wichtig ist nur: Bleib bei deinen Figuren. Denn sie tragen jede Geschichte – mit oder ohne Plot.

Rael Wissdorf – Autor, Lektor, Coach

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Katja Brandis: Die Ewigen von Calliste

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Warum ich „Game of Thrones“ nie sehen konnte – Ein Plädoyer für Figurenbindung in der Fantasy

In einer Welt, in der Fantasy oft mit Blut, Verrat und dystopischem Weltenbau gleichgesetzt wird, ist es fast ein literarischer Tabubruch zu sagen: Ich habe Game of Thrones nie gesehen. Nicht aus Zeitmangel, nicht aus Ablehnung des Genres – sondern weil ich es nicht ertragen konnte. Schon in den ersten Episoden schreckten mich Dinge ab, die mir als Autor, Lektor und Liebhaber epischer Geschichten zutiefst widerstreben: der Verlust liebenswerter Figuren, die Zurschaustellung von Grausamkeit, die Abwesenheit von emotionalem Ankerpunkt. Dieser Beitrag ist kein Verriss. Er ist ein Plädoyer – für Geschichten, in denen wir bleiben wollen, weil wir die Figuren lieben, nicht bloß bewundern oder erdulden.

Figurenbindung als literarisches Prinzip

Literarische Bindung entsteht nicht durch Plotpunkte, sondern durch Nähe. Nähe zur inneren Welt der Figuren, zu ihren Zweifeln, Schwächen, Hoffnungen. Tolkien hat das meisterhaft verstanden. In Der Herr der Ringe ist Frodo nicht der mächtigste, klügste oder kämpferischste Held. Aber er ist derjenige, dem wir folgen wollen – weil er aufrichtig ist, verletzlich, mitfühlend. Selbst Sam, der oft als ‚Sidekick‘ bezeichnet wird, wird für viele zum wahren Helden, weil er nicht aufhört zu hoffen – und zu lieben. Es ist diese emotionale Intimität, die uns durch Mordor führt, nicht das Schicksal der Welt.

Game of Thrones – Der Bruch mit dem Wunsch nach Nähe

Als ich die ersten Folgen von Game of Thrones sah, war es nicht der Gewaltgrad, der mich abstieß – sondern die Kälte. Figuren wie Eddard Stark, die zu einem moralischen Zentrum hätten werden können, wurden geopfert, bevor eine echte Bindung entstehen konnte. Andere Figuren waren entweder zu kalkuliert, zu grausam oder zu zynisch, als dass ich mit ihnen hätte fühlen können. Selbst Tiere – in diesem Fall die Schattenwölfe – wurden getötet, bevor sie überhaupt eine mythische oder emotionale Rolle entfalten konnten. Das alles erzeugt sicherlich Spannung. Aber keine Verbundenheit. Und ohne diese ist mir jede Welt – so detailliert sie auch gebaut sein mag – fremd.

Die Stärke der Hoffnung – Was ich stattdessen suche

Ein Beispiel dafür ist die Serie The Rookie. Zwar kein Fantasy, aber strukturell doch eine moderne Heldenreise: John Nolan ist verletzlich, integer und lernbereit. Um ihn herum entfalten sich Figuren, die man nicht nur versteht, sondern begleiten möchte. Die Serie bietet Konflikte – aber nie auf Kosten unserer Identifikation. Ein anderes Beispiel ist Katja Brandis‘ Die Ewigen von Calliste. Auch hier gibt es Gefahr, Zwiespalt und Geheimnisse – doch durch die Hauptfigur Ila bleibt eine innere Wärme erhalten, die uns durch die fremde Welt trägt.

Yanthalbor & Das Vermächtnis des Drachenlords – Persönliche Gegenentwürfe

In meinen eigenen Romanen – etwa Yanthalbor oder Das Vermächtnis des Drachenlords – ist Figurenbindung kein Nebeneffekt, sondern Zielstruktur. Auch hier gibt es Opfer, innere Kämpfe, Verrat. Doch ich glaube daran, dass Leser:innen einem Held oder einer Heldin dann am tiefsten folgen, wenn sie *nicht* allwissend sind, sondern zweifeln dürfen. Wenn sie geliebt werden können – nicht trotz, sondern wegen ihrer Schwächen.

Fazit: Fantasy darf uns Hoffnung geben

*Game of Thrones* hat das Fantasygenre verändert – und viele fasziniert. Für mich aber bleibt es ein Beispiel dafür, was passiert, wenn Figuren nicht als emotionale Brücke, sondern als Schachfiguren behandelt werden. Ich brauche das andere. Ich brauche Geschichten, in denen ich weinen kann, wenn jemand fällt – nicht, weil es überraschend ist, sondern weil es *wehtut*. Und weil ich ihn oder sie vermissen werde.

Fantasy darf dunkel sein. Aber sie darf nie aufhören, uns Licht zu zeigen. Und dieses Licht sind die Figuren, an deren Seite wir die Reise antreten.

Rael Wissdorf Mai/25

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Geschichten handeln von Menschen, nicht von Ideen


Geschichten handeln von Menschen, nicht von Ideen.

Dieser Satz stammt (vielleicht) von Marion Zimmer-Bradley (oder auch nicht, manche sagen, er wäre von Borchert). Er ist einer dieser seltenen Sätze, die sich tief einbrennen, weil sie etwas sagen, das man eigentlich immer schon wusste. Und doch müssen wir es uns in Erinnerung rufen, immer wieder, wenn wir schreiben, lehren, kritisieren oder beraten. Denn er enthält das vielleicht wichtigste Geheimnis guter Erzählkunst: Leserinnen und Leser interessieren sich nicht für die Idee an sich. Sie wollen wissen, was mit den Menschen passiert.


Wenn wir früher jemandem erzählten, was wir am Vorabend im Kino gesehen hatten, dann kam nie die Frage: „Und wie war der Soundtrack?“ oder „Was symbolisiert das Schwert?“ Sondern: „Und was ist dann passiert? Hat er sich gerächt? Haben sie sich gekriegt?“

Unsere Zuhörer wollten wissen, was mit den Menschen in der Geschichte geschah. Das Herz des Erzählens ist der Mensch.

Selbst in epischer Fantasy, wo es um Welten, Magie und mythische Objekte geht, ist das alles nur Hülle. Der Ring interessiert niemanden. Was uns bewegt, ist Frodo. Sam. Gollum. Ihr innerer Kampf, ihre Entscheidungen, ihr Zerbrechen und ihr Wachsen. Der Ring ist nur der Katalysator, das, was diesen Wandel provoziert.


Ideen sind leicht. Figuren sind schwer.

Eine Idee hat man in Sekunden. „Was wäre, wenn ein magisches Artefakt die Welt bedroht?“ – schön. Aber wen betrifft das? Wer verliert seinen Bruder, weil er das Artefakt zu spät erkennt? Wer muss sich zwischen Liebe und Pflicht entscheiden? Wer zerbricht daran? Wer wird zum Helden, obwohl er nie einer sein wollte?

Die wahren Geschichten beginnen da, wo die Idee auf den Menschen trifft. Wenn sie zur Erfahrung wird.


Gute Geschichten sind wie Klatsch. Und wie Katharsis.

Das mag trivial klingen. Aber in Wahrheit sind alle großen Geschichten Varianten dessen, was wir seit Jahrtausenden weitergeben: Wer liebt wen? Wer verrät wen? Wer stirbt für wen?

Im privaten Erzählen nennen wir das Gossip. In der Literatur ist es die Verarbeitung existenzieller Fragen. Gute Literatur ist beides: sie bedient die Neugier des Alltags und übersetzt sie in das Symbolische. Sie stillt den Hunger nach Drama und schafft gleichzeitig eine ethische Fallhöhe.


Die Fantasy begeht oft denselben Fehler.

Sie verliert sich in Weltenbau. In Völkern, Magiesystemen, Herrschaftsstrukturen. Alles wunderbar – solange wir jemanden haben, dessen Herz darin schlägt.

Ohne glaubhafte Figuren ist Worldbuilding wie eine Museumslandschaft ohne Besucher. Es steht nur herum. Erst die handelnde, irrende, liebende, hoffende Figur haucht der Welt Leben ein.


Was bedeutet das für uns als Autor:innen und Lektor:innen?

Es bedeutet, dass wir immer zuerst nach der Figur fragen müssen. Nicht: „Was ist die Idee deines Romans?“ Sondern: „Was durchlebt deine Figur? Was verliert sie? Was fürchtet sie? Was hofft sie?“

In meiner Arbeit mit jungen Autor:innen stelle ich fest: Wer seine Figuren liebt, schreibt immer besser. Selbst in holpriger Sprache, selbst in unfertiger Struktur – wenn die Figuren leuchten, tragen sie alles.

Ein schlechter Plot mit starken Figuren wird trotzdem gelesen. Ein starker Plot mit schwachen Figuren wird vergessen.


Und die Idee? Die Moral? Die Botschaft?

Sie ergibt sich. Aus dem, was die Menschen tun. Aus dem, was sie nicht tun. Aus dem, was sie bereuen. Gute Literatur ist nie These. Sie ist immer Prozess.

Sie zeigt, statt zu behaupten. Und was sie zeigt, ist nicht die Idee – sondern der Mensch, der an ihr leidet oder an ihr wächst.


Ich glaube: Wer Menschen erzählt, übertrifft jede Theorie.

Denn was uns bleibt nach einem guten Buch, ist nicht die „Struktur“ oder der „Themenkomplex“. Es ist ein Blick. Ein Satz. Eine Geste.

Es ist Sam, der sagt: „Ich kann ihn nicht für dich tragen – aber ich kann dich tragen.“

Das ist der Moment, der bleibt. Und das ist es, was Erzählen vermag. Alles andere sind nur Ideen.

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Wie Yanthalbor geboren wurde – und beinahe nie das Licht der Welt erblickt hätte

Manchmal brauchen Geschichten Jahrzehnte, um gehört zu werden. Yanthalbor ist eine solche Geschichte. Nicht nur im Buch selbst, sondern auch in seiner Entstehung. Sie handelt von zwei jungen Männern, einer Welt namens RIKAS, einer frühen Freundschaft – und einem Roman, der 25 Jahre lang schlief.

Die ersten Spuren führen zurück in die 1980er Jahre, in einen kleinen Vorort von Darmstadt. Dort trafen sich regelmäßig zwei junge Autoren. Der eine: Ich. Musiker, Jungredakteur bei einer Filmzeitschrift, mit einem Hang zu allem, was erzählt und klingt. Der andere: Christian, Kernphysiker, Nerd, Computerpionier, Universalgelehrter. Unterschiedlicher hätten wir nicht sein können. Was uns verband, war der Traum vom Schreiben.

Am Rechner, einem jener klapprigen Monitore mit grünlich flackernder Schrift, entstand unser erstes Werk: eine Sci-Fi-Fantasy-Novelle namens Styx – der Proktor, später umgetauft in Rebellion 23. Darin tauchten sie das erste Mal auf: das wüstenhafte Reich Zorbejt, die Stadt Montalbaan, eine Welt zwischen Steampunk und archaischem Wahn. Damals wussten wir noch nicht, dass es dafür mal ein Genre geben würde.

Wenig später, nun Mitglieder der Frankfurter Autorengruppe, der so illustre und später erfolgreiche Mitglieder wie Sylvia Englert und Peter Peters angehörten, beschlossen wir: Wir graben tiefer. Wir erzählen die Frühgeschichte dieser Welt. Daraus wurde Queste. Zwei Helden, zwei Perspektiven. Meine Figur: Jan Talborg, ein Mann unserer Zeit, durch einen Riss in eine antike Welt gestolpert. Christians Figur: Hannon, ein Aristokrat aus Montalbaan. Kapitelweise wechselten wir uns ab. Ich schrieb die ungeraden, er die geraden Kapitel. Und wir versanken in einem literarischen Katz-und-Maus-Spiel.

Jan war überheblich. Hannon war arrogant. Jan fand die Eingeborenen dumm. Hannon fand alle unter seinem Stand. Wir überboten uns gegenseitig im pointierten Sarkasmus. Ich ließ Hannon peinliche Dinge tun. Christian konterte, indem er Jan als „spinnerten Deppen“ darstellte. Kapitel für Kapitel wuchs der Text – und driftete auseinander. 600 Seiten, gespickt mit brillanten Ideen, aber ein heilloses Stilgemetzel.

Schließlich beschlossen wir, getrennte Wege zu gehen. Ich würde Yanthalbors Weg erzählen, Christian den von Hannon. Die Trennung war fair, aber auch schmerzhaft. Es folgte mein Umzug nach Konstanz, wegen der Liebe. Was folgte, war alles andere als romantisch: prekäre Jobs als Filmkritiker, Radiomoderator, Kulturjournalist. Und, ja – als Model für die Stadtwerke. Ein Plakat mit meinem Konterfei hing bald in der ganzen Stadt. Ironie des Schicksals: Ich grinste von jeder Litfaßsäule herab auf meine damalige Ex, die mich wegen eines Junkies verlassen hatte.

In dieser Zeit schrieb ich viel, vor allem Kurzgeschichten. Eine davon wurde in der Literaturzeitschrift Wandler veröffentlicht. Das tat gut. Und dann, eines Tages, las ich mich wieder in Yanthalbor ein. Er hatte keinen Schluss. Und Christians Hannon-Geschichte wollte sich auch nicht mehr einfinden. Wir hatten uns gegenseitig blockiert. Und so blieb die Geschichte in der Schublade.

Es kam noch schlimmer. Wir gründeten eine Gameschmiede. Unser Fantasy-Adventure Queste sollte ausgerechnet Hannons Geschichte adaptieren. Ich half beim Game Design mit. Das war quasi das Todesurteil für Yanthalbor. Wie sollte es noch Platz geben für einen Roman, dessen zweite Hälfte bereits als Spiel geplant war?

Queste wurde nie fertig. Die Technik überholte uns. Die Firma wurde aufgelöst. Jahre gingen ins Land. Ich schrieb Shabu, meinen ersten Kriminalroman, der veröffentlicht wurde. Christian und ich schrieben den Krimi Downtown zusammen, das beim Emons Verlag erschien. Aber Yanthalbor blieb liegen.

Bis zu dem Tag in einem kleinen Städtchen an der Brenz, als ich beim Aufräumen alter Dateien war. Ich las den Text. Und wusste: Ich bin frei. Queste war tot. Christian hatte andere Pläne. Ich konnte mein Buch beenden. Und ich tat es. Aus drei Monaten Arbeit wurde ein Jahr. Aber am Ende stand er da: Yanthalbor, komplett, geerdet, kraftvoll.

Heute lebt er. Im Trivocum Verlag, in Leserhänden, in dieser seltsamen Welt namens RIKAS, die vielleicht mehr mit unserer zu tun hat, als man zunächst denkt. Und auch, wenn Jan Talborg nicht weiß, woher er kommt, so weiß ich es sehr wohl. Seine Geschichte war nie nur fiktiv. Sie war mein Weg, mein Streit, mein Freund, meine Suche. Und jetzt ist sie mein Vermächtnis.

Reinhard Rael Wissdorf

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Katja Brandis: Die Ewigen von Calliste

Buchrezension von Rael Wissdorf

Wenn eine Bestsellerautorin wie Katja Brandis aka Sylvia Englert aka Siri Lindberg einen neuen Fantasyroman vorlegt, liegen die Erwartungen hoch. Eine treue Leserschaft scharrt mit den Hufen, und ein mächtiger Plot nimmt Fahrt auf. Und dann – wie soll es auch anders sein – gelingt es Brandis erneut, dem Genre neues Leben einzuhauchen, mit Traditionen zu brechen und neue zu schaffen. So ist ihr neues Epos im Präsens gehalten – das verleiht der breit angelegten Geschichte Tempo und Unmittelbarkeit. Doch bevor wir ins Detail gehen: Worum geht es eigentlich?

Die größte Stärke des Romans ist die fabelhafte und ungewöhnliche Grundidee: Versteinerte Wesen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen als lebensechte Statuen aus weißem Marmor über die Insel Calliste verstreut. Alle 17 Jahre erwachen sie für kurze Zeit zum Leben und werden zur Touristenattraktion der kleinen Insel, die seit Jahrhunderten von den „Ewigen“ lebt. Die Heldin Ila wurde an einem solchen Tag geboren und fühlt sich den Wesen, insbesondere einem Vogelmenschen, der sie beschützte, besonders verbunden.

Doch nicht alle der Ewigen sind freundlich – manche sind gefährlich, andere gar bösartig. Doch alle verbindet ein tragisches Schicksal. Was ist damals, vor 300 Jahren, geschehen, dass diese illustre Gesellschaft – von der Meeresechse über einen römischen Riesen bis zu einer bezaubernden und cleveren Meerjungfrau – zu Stein wurde? Und warum dürfen sie seither nur alle 17 Jahre kurz ins Leben zurückkehren?

Diese Fragen sind der Auftakt zu einem Netz aus Geheimnissen: Was trieb Ilas Mutter damals hochschwanger durch das Dickicht der Insel? Warum ist der junge Held Rheo ein so begnadeter Schwimmer? Wer steckt hinter dem Fluch, der auf Ilas Familie lastet? Schritt für Schritt spinnt Brandis ihre Handlungsnetze aus, findet aber mit traumwandlerischer Sicherheit ihren Weg durch die verwobenen Nebenplots – stets durchdacht, mit überraschenden Wendungen.

Eine weitere Stärke des Romans ist die Sprache. Souverän verbindet Brandis poetische Beschreibungen mit jugendlicher Leichtigkeit. Gelegentlich blitzen Elemente der Jugendsprache auf, jedoch nie in einem Maß, das anbiedernd wirkt. Das macht die Geschichte leicht und flüssig lesbar, ohne an Tiefe zu verlieren. Die Insel selbst ist weiterer Hauptdarsteller. Mit viel Liebe zum Detail beschreibt Brandis ihr magisches Eiland, so dass man dort am liebsten sofort Urlaub machen möchte.

Die wechselnden Perspektiven – von Ila zu Rheo und weiteren Figuren – sorgen für Abwechslung und ein umfassendes Bild des Geschehens. Diese Technik hilft, den umfangreichen Stoff dynamisch und kurzweilig zu präsentieren.


Nicht zuletzt beeindruckt das phänomenale Worldbuilding. Jeder Fantasyroman aus deutscher Feder muss sich an Größen wie Tolkien, Marion Zimmer Bradley oder Andrzej Sapkowski messen lassen. Doch Brandis gelingt es, sich diesen Vergleichen souverän zu stellen. Mit einem Mix aus Urban Fantasy, einem Hauch Steam- oder Dieselpunk sowie einer bemerkenswerten und eigenständigen Magieform erschafft sie eine Welt, die vertraut wirkt und doch voller neuer Ideen steckt. Wie sich diese Welt mit ihren anderen Romanen – etwa Khyona – verbindet, erläutert Brandis übrigens selbst im Anhang.

Fazit: *Die Ewigen von Calliste* ist ein neues deutschsprachiges Fantasywunder, das Jugendliche ebenso wie erwachsene Genrefans begeistert. Eine spannende und bewegende Geschichte mit sympathischen Figuren, die Brandis gewohnt souverän und mit einem hohen Maß an literarischer Qualität erzählt. Fantasy als oft unterschätztes Genre in Deutschland braucht solche Autorinnen.

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Sapphire

Neoklassische Tondichtungen

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Sapphire auf Bandcamp anhören: Sapphire

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The Sound of Magic

Acht Tondichtungen und ein Song

The Sound of Magic

Kristalline Schönheit – gegossen in Musik

Carsten Hundt

Irgendwo in den Tiefen des Alls existiert eine erstaunliche Welt. Unter der narbigen Kruste eines Planeten zieht sich ein weites System gigantischer Höhlen dahin. Dort gibt es Kontinente, Gebirge, Seen, Wälder, Flüsse, Pflanzen und Tiere. Aber es gibt dort auch Drachen, ein Menschenvolk und…Magie. Und ein uraltes Geheimnis, von dem heute niemand mehr etwas ahnt. Doch diese Welt ist in tödlicher Gefahr. Eine überlegene Macht von außen beginnt eine Invasion. Die Völker der Höhlenwelt kämpfen tapfer – doch ohne die Magie und den Mut der Adeptin Leandra haben sie kaum eine Chance. Dies ist die Geschichte der Befreiung einer besetzten Welt und ihren Kampf um Freiheit.

So beginnt die Beschreibung der Höhlenwelt Saga – und nun beschreiben diese Sätze auch ein Musikalbum. Den Soundtrack zu einem Roman: The Sound of Magic.

Ein alter Weggefährte von Rael schrieb über das Album:

Fantasy- und Game-Veteranen der 90er Jahre, könnt ihr euch noch an die Höhlenwelt erinnern?Ja, genau, die Fantasy-Romanreihe, zu der es auch später ein Point- and-Klick-Adventure gab.Mein alter Kumpel Rael aus Gamedesigner-Tagen, der u.a. auch Musiker ist, hat dazu jetzt ein Album gemacht. Stilistisch liegt das wohl irgendwo zwischen epischem Game-Soundtrack, Ennya und Adiemus und ruft säuselnd nach Kerzenlicht und Rotwein.

Torsten Schneyer, 23.03.2022

Komponiert und arrangiert von Rael Wissdorf, gemixt und gemastert von Carsten Hundt. Mit Mezzoxopran Juli Blue und Fagottist Janus Taubert, geziert von einer Coverillustration von Christoph Vacher erblickt das Album „The Sound of Magic“ endlich das Licht der Welt.

Die Titel:

  • Prelude – A hymn to the caveworld
  • 1000 Miles from Savalgor
  • Maidens of Okaryn
  • The Towers of Unifar
  • Chant of the Dragonmaid
  • Ramakorum Passacaglia
  • Sisters of the Wind
  • Afterlude – Clouds over Angadoor
  • Leandras Vow

Besuche Bandcamp, um das Album zu hören oder auch zu kaufen:

Wenn du die CD kaufen möchtest, kannst du das im Trivocum Shop tun oder bei Amazon.

Streaming:

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