Süddeutsche und Nordwestostdeutsche verbindet vieles. Außer der Sprache.

„Heb das mal!“

Diese Aufforderung, von einem Süddeutschen an einen NWO-Deutschen gerichtet, löst Verwirrung aus. Der NWOD ist der Ansicht, er sollte das Teil nun hoch- oder aufheben. Der SD (Süddeutsche) dagegen, meint damit, er solle es festhalten. Dieses sprachliche Missverständnis kann zu hitzigen Debatten bis hin zur offenen Prügelei führen, nur weil hier Begrifflichkeiten in anderem Kontext verwendet werden.

Wenn ein Süddeutscher zum Arzt kommt und erklärt, ihm täte „der Fuß“ weh, so fragt ein Süddeutscher Arzt einfach nur „und wo da?“, weil er weiß, dass der Süddeutsche mit Fuß all das bezeichnet, was von der Hüfte abwärts bis zu den Zehen reicht. Ein NWOD-Arzt wäre jetzt hilflos, denn er würde den Fuß untersuchen und nichts finden, weil der SD vom Knie gesprochen hatte.

Man muss diese Feinheiten kennen, um das Gegenüber zu verstehen. Doch wer tut das schon, wenn er nicht zufällig in diesem Sprachraum aufgewachsen ist? Es dauert oft Jahre, bis „Eingeplackte“, also Zugezogene NWOD’s gelernt haben, den Süddeutschen Umgangston richtig zu interpretieren.

Was ist der Süddeutsche Sprachraum? Damit bezeichne ich alles, was mehr oder minder südlich des Mains gesprochen wird, also Badisch, Schwäbisch, Allemannisch, Bayrisch und sämtliche austrischen Dialekte bzw. Sprachräume, wobei sich das Wienerische nochmal besonders ruppig geriert.

NWOD bezeichnet alles andere: nordhessisch, rheinisch, sächsisch, norddeutsch. Man könnte sagen: im Süden Deutschlands ist die Sprache allemannisch geprägt, im Norden eher preußisch, da sich diese sprachliche Demarkationslinie durch die Jahrhunderte zieht und sich mit den beiden großen deutschen Kaiserreichen erklären lassen, dem preußischen und dem österreichischen.

Dabei rede ich hier nicht vom typischen Dialekt der verschiedenen Regionen. Ich spreche keineswegs von völlig unterschiedlichen Idiomen, die wir als schwäbisch oder beispielsweise Kölsch deklarieren. Was dem Kölschen der „Jeck“ ist dem Schwaben der „G’spennerter“; Dialekte sind ohnehin oft schwer zu verstehen, diese rein etymologische Trennung ist jedem bewusst. Ich rede hier von den Missverständnissen, die dann entstehen, wenn beide Kommunikanten scheinbar „hochdeutsch“ miteinander reden. Hier wird oft fatalerweise angenommen, jeder der beiden spräche die gleiche Sprache. Mitnichten. Denn selbst der Gestus der Sprache ist oft unterschiedlich.

Ein Beispiel: Im hochdeutschen wird eine Warum-Frage, stets mit einer Weil-Antwort verbunden. „Warum hast du den Bus nicht bekommen?“ – „Weil ich gestolpert bin.“ Oder: „Warum fallen die Sterne nicht vom Himmel?“ – „Weil sie dem Gesetz der Schwerkraft unterliegen.“ Klare Warum-Frage, klare Weil-Antwort, dies ist im Gesamtdeutschen Sprachverhalten so festgelegt und wird auch so erwartet. Nicht so im Süddeutschen.

Beispiel einer Stadtratssitzung, geht, sagen wir mal, um die Anschaffung von zusätzlichen Mülltonnen. „Warum verdoppeln wir die Anzahl der Mülltonnen nicht?“, fragt der Süddeutsche. Der NWOD ist verwirrt. Was soll er darauf antworten, denn die Frage impliziert ja eine Weil- Antwort. Der Süddeutsche erwartet aber gar keine Weil-Antwort. Er ist seinem Süddeutschen Sprachgestus gefolgt und hat seine Frage lediglich als konstruktiven Vorschlag gemeint. Wo der NWOD gesagt hätte „Wir könnten die Anzahl verdoppeln“, sagt der Süddeutsche „Warum verdoppeln wir nicht?“ und will damit keineswegs ein Versäumnis insinuieren. Der NWOD aber fühlt sich bereits ein klein wenig auf den Schlips getreten, so als hätte diese Frage ihm unterstellt, selbst daran nicht gedacht zu haben.

Dies sind kleine Beispiele der Süd- und NWO-deutschen Unterschiede, die oftmals zu kleineren, aber auch größeren Missverständnissen führen. Sprache ist eben mehr als nur die Ansammlung von Worten. Sprache ist die Atemluft der Kommunikation und nicht überall ist die Windstärke die Gleiche.

Dieser Ansicht ist auch Sprachwindstärkenmessexperte Dr. Tibor Flaussig vom deutsch-deutschen Institut für angewandte Sprachstörungen:

Heb das mal! Heb das mal? Heilige Scheiße, jetzt muss ich mein Gehirn einschalten, denn ein Süddeutscher will von mir, dass ich etwas festhalte! Warum sagt er das nicht? Weil er ein Süddeutscher ist. Am schlimmsten aber ist, dass ein Süddeutscher auf Warum Fragen nicht antwortet. Und das erklärt auch, warum die Bayern damals in Poitiers 732 einfach abgehauen sind. Warum hauen wir nicht einfach ab? Diese Frage wurde nicht beantwortet, sie taten es einfach! Wenn Nordwestostdeutsche einen Süddeutschen in Verlegenheit bringen wollen, dann fragt ihn: Warum sprecht ihr kein gescheites Deutsch? Keine Antwort. Na also!

Autor: Rael Wissdorf, Copyright (24.06.2013), alle Rechte vorbehalten.
Erstveröffentlichung 24.06.2013